VR wird die Frage nach Sex und Gewalt neu stellen
Gespräch mit Christian Schiffer zu Virtual Reality und Games als Kulturgut
Zur Eröffnung von „net:works – kultur und öffentlichkeit zwischen analog und digital“ am 8. Oktober gibt es neben einem bunten Rahmenprogramm von Games, Filmen und Spielen auch den Impulsvortrag von Christian Schiffer. Für den net:works-Blog haben wir uns mit ihm über Gameskultur unterhalten.
In gewisser Weise Frustration. Es gab einfach keine Publikation, wo über Computerspiele so klug und aufregend geschrieben wurde, wie ich mir das gewünscht hätte. Außerdem wollte ich beweisen, dass man auf Print immer noch erfolgreiche Sachen machen kann, wenn man es richtig anstellt.
net:works: Beim Lesen von WASD fällt auf, wie heterogen und zersplittert die Gamerszene aus der Perspektive der Autoren wirkt, EgoShooter-Gamer treffen auf C64-Apologeten, Textadventure-Fans mischen sich mit Indie-Spielern, Online-Rollenspieler streiten mit Jump’n`Run-Enthusiasten, Konsolen-Junkies tummeln sich mit ATARI-Geeks. Gibt es da eine klare Zielgruppe, einen gemeinsamen Nenner für dich?
Die Beobachtung ist völlig richtig, die Welt der Computerspiele ist in der Tat sehr vielschichtig. Eine Zielgruppe der WASD zu definieren ist deswegen nicht ganz einfach. Es sind sicherlich viele Leute dabei, die vielleicht etwas älter sind und ein anderes Diskursniveau rund um digitale Spiele erwarten.
net:works: WASD hat ja einen klaren feuilletonistischen Anspruch. Was ist für dich entscheidend, Games als Kulturgut zu begreifen? Oder können eine Handvoll Mittdreißiger einfach nicht von ihrem Lieblingsspielzeug lassen?
Natürlich sind Computerspiele Kultur, was sollen sie denn auch sonst sein? Ob sie auch ein Kulturgut sind oder sogar Kunst muss man im Einzelfall entscheiden. Let´s face it: Viele Spiele sind bestimmt eher Trash, aber auch darüber kann man kluge und interessante Sachen sagen, auch solche Spiele bilden ja unterschwellig Diskurse in unsere Gesellschaft ab. Und natürlich gibt es viele Spiele, die das Prädikat Kulturgut oder gar Kunst verdienen. Ich habe manchmal allerdings den Eindruck, dass sich die Industrie auf Biegen und Brechen das Label „Kulturgut“ anheften möchte, weil das auch ein gutes Argument ist für staatliche Fördermittel. Das ist schon okay, aber darum alleine darf es nicht gehen.
net:works: Das Festival net:works lotet ja in seinem Programm die Reibungsflächen zwischen analog und digital aus. Und mit WASD setzt du ja ganz aufs Analoge inmitten einer digitalen Gameswelt. Wo sind für dich die Spannungsfelder, die sich aus der Gleichzeitigkeit von virtueller und analoger Welt heute ergeben?
Ich muss hier ein wenig ausholen, genaugenommen ungefähr 20.000 Jahre. Damals wurde Information auf Höhlenwänden festgehalten und seitdem war Information immer an einen Datenträger gebunden. Dieser Datenträgen waren dann halt irgendwann keine Höhlenwände mehr, sondern Steintafeln, Papyrusrollen, Papier, Disketten, DCs, DVD oder USB-Sticks. Jetzt bricht das Zeitalter der Cloud an und erstmalig entmaterialisiert sich Kommunikation, sie entweicht in die Wolke. Allerdings gibt es eben diese anthropologische Konstante, dass man Informationen wortwörtlich „im Griff“ haben möchte quasi und das steckt noch in uns drin. Das hat viel mit einem Gefühl der Kontrolle zu tun und dieser Übergang wird uns noch eine Weile beschäftigen. Wie sehr sich Menschen an das Analoge klammern, das sieht man übrigens auch an den steigenden Verkäufen von Vinylplatten, da sind alle Presswerke ausgelastet.
net:works: Ein vorsichtiger Blick in die Zukunft von Games: Hans Ippisch von Computec hat in einem Beitrag auf unserer Seite davon gesprochen, dass die heißerwarteten VR-Brillen nur eine weitere Nische sein werden, weil sie das Spielen in Gruppen nicht zulassen. Mit welchen Entwicklungen rechnest du?
Was Virtual Reality angeht, da bin ich anderer Meinung. Erstens kann man mit VR-Brillen durchaus in der Gruppe spielen. Man kann ja VR und Internet zusammendenken und das passiert auch, nicht umsonst hat ja Facebook immerhin 2 Milliarden ausgegeben, um sich die Firma hinter der VR-Brille Oculus Rift einzuverleiben. Und auch wenn das nicht der Fall wäre: Ich persönlich habe Spaß daran gegen oder mit einer Maschine zu spielen, auch das kann faszinierend sein.
Deswegen glaube ich, dass VR schon eine Rolle spielen wird. Rechnen tue ich allerdings damit, dass es völlig neue Debatten geben wird, was Sex, Gewalt und so weiter angeht. Denn die Immersion wird eine ganz andere sein.
net:works: Welche Elemente braucht ein gutes Game unbedingt, um dich zu begeistern? Welches Genre spielst du am liebsten?
Ich spiele viele rundenbasierende Strategiespiele und ich mag auch Rollenspiele sehr gerne. Es darf dabei auch ruhig uncool, bräsig und betulich zugehen. Mich faszinieren aber auch künstlerisch anmutende Indiegames.
net:works: Und zum Schluss: ein heißer Tipp, was sich derzeit jenseits des Mainstreams zu spielen lohnt?
„Viridi“ ist toll! Da spielt man eine Pflanze, die wächst – in Echtzeit. Eigentlich kann man nichts machen. Entschleunigung pur und genau das richtige zum Entspannen, nach einem hektischen Arbeitstag!
net:works. Vielen Dank für das Gespräch.
Christian Schiffer hat Wirtschafts- und Sozialgeographie an der LMU München sowie Politikwissenschaften an der Hochschule für Politik studiert. Nach Stationen bei verschiedenen Medien kam er 2008 zum Jugendprogramm Zündfunk des BR und ist dort inzwischen Redakteur und Kolumnist. Seit 2012 gibt er zusammen mit dem Münchner Grafiker Markus Weissenhorn das halbjährlich erscheinende und mehrfach ausgezeichnete WASD – Bookazine für Gameskultur heraus. Inhaltlich beschäftigt er sich unter anderem mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung.