Stirbt der Tätowierte, stirbt die Kunst

Über Tätowierungen, Kunst, Tattoo-Kunst und menschliche Leinwände

Zeichnungen_Paco Graves

Zeichnungen Paco Graves

Eigentlich. Eigentlich sind Tätowierungen nichts Besonderes mehr. Ihr Anblick ist alltäglich, und Millionen von Menschen in Deutschland sind mittlerweile tätowiert. Eigentlich sind Tätowierungen teilweise zum Mode- und Konsumprodukt geworden. Mit immer mehr Tattoo-Studios, eigenem Familienprogramm bei Tattoo-Conventions, Tattoo-Dokus im TV und Tattoo-Spielzeug für Kinder sind Tätowierungen im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Und doch ist alles auch anders: Tätowierungen polarisieren noch immer. Kalt lassen sie die Wenigsten. Und Kunst wollen sie auch noch sein…?
Ja, wollen sie. Tätowierungen und Kunst haben einiges gemeinsam. Deshalb haben Künstler Tätowierungen schon länger für sich entdeckt. Den Körper gestalten, ihn für immer zu verändern und Zeichen zu setzen – Tätowierungen bieten sich als Medium dafür an. Existentielle Aussagen über Macht und Ohnmacht über den eigenen Körper verdeutlichen Künstler wie Wim Delvoye, Valie Export, Flatz oder Santiago Sierra durch das Bleibende dieser Hautveränderung.
Umgekehrt erobern sich Tätowierer den Körper ihrer Kunden als Leinwand. Tätowierungen sind Mode und Massenprodukt. Sie können aber auch Kunstwerke sein. Neue, eigenständige Tattoo-Stile, technisches Können und der künstlerische Hintergrund von Tätowierern loten die Grenzen dieser Kunst-Technik aus. Der Kunde wird zum Kunstobjekt. Er wird zum Unikat, das sich selbst und die Arbeit des Tätowierers präsentiert. Doch gleichzeitig hat diese Kunst ein Ablaufdatum: Stirbt der Tätowierte, stirbt die Kunst.
Den zahlreichen Spannungsfeldern zwischen bleibendem Kunst-Werk und vergänglicher Tattoo-Kunst, zwischen Kunst und Tätowierung und zwischen Klischee, Mode und menschlicher Leinwand spürt die Ausstellung „Skin Stories. Tattoo & Kunst“ nach.
Text: Dr. Igor Eberhard

Dr. Igor Eberhard ist Kultur- und Sozialanthropologe und Journalist. Er forscht und lehrt an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Tätowierungen, Körper(modifikationen), Schönheit und Schönheitswahrnehmung, Erinnerungsforschung, materielle Kultur, Populärkultur. Von ihm sind zum Thema die Bücher „Pimp my Körper!“ und „Stich:Punkte: Theorie und Praxis des Tätowierens“ (Co-Hg.) erschienen. Sein Vortrag zum Thema: Freitag, 16.10. um 19.00 Uhr in der kunst galerie fürth, Königsplatz 1.

Infos zur Ausstellung „Skin Stories. Tattoos & Kunst“

Rainer Hertwig am 14. September 2015